Der Audi 100 C3 galt als zeitlos, ausgereift und ein bisschen bieder. Außer mit einem Fünfzylinder Turbo, einem Auftritt irgendwo zwischen Limousine und Kombi als „Avant“ und dem Zusatz „Sport“. Dann wurde aus dem Audi 100 ein Quattro-Geschoss mit Stauraum und Sportwagenflair.
Allrad Kombi mit 220 PS!
Ein heiseres Röcheln, was nur ein Fünfzylinder kann. Leise pfeift ein Turbo. Was auf den ersten Blick aussieht wie der fesche Mittelklasseerwerb eines Oberstudienrates ist ein 220 PS Geschoss mit porscheähnlicher Beschleunigung. Ein ganz eigenständiges Ding, noch immer präsent im alltäglichen Straßenverkehr und noch immer nicht altbacken. Vielleicht niemals. Und das, obwohl die ersten Exemplare des Audi 100 Typ 44 schon lange mit einem H-Kennzeichen durch die Welt fahren. Feine Kombis heißen „Avant“ und haben Quattro. Wer hätte daran damals schon geglaubt?
1982 stand der komplett neue Audi 100 vor der Fachpresse, keilförmig, glatt und mit einem rekordverdächtigen CW Wert von 0,3. Hatte man bei BMW und Mercedes bis dahin noch milde lächelnd das Treiben in Wolfsburg, Ingolstadt und Neckarsulm betrachtet, zog nun eine leichte Blässe in die Gesichter. Der technisch und im Design weit vor den Mitbewerbern liegende Audi verkaufte sich vom Fleck weg glänzend, und vor allem in Österreich und der Schweiz ging er als Quattro mit permanentem Allradantrieb weg wie geschnitten Brot.
Avant – mehr ein Shooting Brake als ein Kombi
„Avant“ nennen sich diese Großraumer, auch heute noch. Was dem BMW sein „Touring“, dem Ford sein „Turnier“, dem Mercedes sein „T-Modell“ und dem Opel sein „Caravan“ war dem Audi sein „Avant“. Fast schon ein Geniestreich war die Verlängerung des Daches der Limousine nach hinten, ohne aber die klassische steile Kante eines Kombis hochzuziehen. Ein Typ 44 Avant Quattro war mehr ein Shooting Brake oder ein Fastback als ein Kombi. Sportlich, zeitlos elegant und selbst voll ausgestattet mit einem höchst angenehmen Understatement belegt. Mit dem konnte man damals vor der Oper auflaufen, ohne direkt als Snob zu gelten. Der kam auf der linken Spur der Autobahn daher, ohne die eingebaute Vorfahrt zu haben. Und er zog trotzdem genauso schnell, wenn nicht sogar schneller als die Konkurrenz an einem vorbei.
Dezent und sportlich bis in die letzte Schraube
Unser Exemplar ist ein seltener Quattro mit dem 2,3 Liter Fünfzylindermotor, Turbolader und der „Sport“ Ausführung. Also schon ab Werk ein sagenhaft potentes Fahrzeug, was nach oben noch ein bisschen Spielraum bietet. Dieses Motorkonzept ist und bleibt eine Legende, war es doch ursprünglich ein konstruktiver Notnagel, weil die Autos keinen Platz für einen prestigeträchtigen Sechszylinder unter der flachen Haube hatten. Also wurde dem treuen Vierzylinder noch ein weiterer drangeflanscht. Das Triebwerk gilt bei ausreichender Pflege als unzerstörbar. Nun fehlt nicht mehr viel bis zur ganz persönlichen Messlatte der Perfektion, das Gesamtkunstwerk ist schon ab Werk perfekt, von den leicht ausgestellten Kotflügeln („Sport“) bis zur Auspuffanlage – der Quattro zeigt dezent, was er kann.
Dezent allerdings nur, wenn man ihn nicht fordert. Wir legen den ersten der fünf Gänge ein, spielen ein wenig mit Kupplung und Gas und sind dank der Quattro Bodenhaftung schneller um die nächste Ecke, als wir die Kamera entsichern können. Oha. Drinnen sitzt es sich gar nicht wie in einem „Oberlehrerauto“, eher wie in einem etwas kleiner geschrumpften Audi V8. Lustig, auch hier scheint wie im Vorgänger das gesamte Cockpit aus einer einzigen Lüfterleiste zu bestehen. Frischer Wind in der gehobenen Mittelklasse.
Viel Platz, viel Kraft
Straff und fest umklammern die Sitze den Körper, das ist auch nötig, denn der Vortrieb ist kernig. Ganz anders als bei einem hubraumstarken Achtzylinder, mehr so wie bei einem drehfreudigen Rennwagen. Hochtourig geht es durch Nebenstraßen, über die Stadtumgehung bis hinter die Felder vor Hamburg. Der Turbokombi klebt auf der Straße – sowohl Magen als auch Gleichgewichtssinn tendieren mehr in Richtung DTM als in Richtung Familienausflug. Obwohl der problemlos möglich wäre, der Audi bietet fünf Personen und einer Menge Gepäck viel Raum. Die eierlegende Wollmilchsau, Kleinlaster und Sportwagen in einem.
Problematische Ersatzteillage
„Der Windschlüpfrigste“ kam seinerzeit mit einer Menge kleiner Details daher, die ihn in seiner Liga einzigartig machten. Gummilippen unter der Motorhaube, die über die Scheibenwischer hochgezogen war. Eingeklebte Front- und Heckscheiben und plan aufliegende Seitenscheiben, ab der Modellpflege auch nahtlos eingepasste Türgriffe und eine Vollverzinkung gegen Väterchen Rost. Er wurde zum Langzeitauto. Leider ist die Ersatzteilversorgung seitens des Herstellers für viele wichtige Teile bereits eingestellt, ein bekanntes Problem. Viele namhafte Hersteller produzieren aber noch immer Ersatzteile in Erstausrüsterqualität, schaut bei uns gern einmal nach allem, was ihr so benötigt.
Seine gewagte Form bescherte dem Audi Avant sogar in den klassischen Kombiländern Frankreich und Schweden Überraschungserfolge und ließen das T-Modell von Mercedes altbacken aussehen. Ein Wort wie „Lifestyle“ gab es in diesem Zusammenhang allerdings noch nicht, trotzdem betonte die Werbung, der Audi sei „ein Kombiwagen zum Transport von Diamantkoffern und Kaviardosen“. Cool.
Autor: Jens Tanz – Sandmann
Audi 100 Turbo Quattro Avant Sport
Baujahr: 1991
Motor: Fünfzylinder Reihe
Hubraum: 2.226 ccm
Leistung: 121 KW (165 PS)
Max. Drehmoment: 240 Nm
Getriebe: Fünfgang Schaltung
Antrieb: Allrad Permanent
Länge/Breite/Höhe: 4792/1814/1422mm
Leergewicht: 1180 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 9s
Top Speed: 218 km/h